Höchste Wagnerlust - "Tristan und Isolde" an der Semperoper Dresden – DAS OPERNMAGAZIN (2024)

Für die Wiederaufnahme von Marco Arturo Marellis fast dreißig Jahre alter Inszenierung von Wagners Tristan und Isolde fährt die Dresdner Semperoper die ganz großen Geschütze auf: Klaus Florian Vogt gibt sein Rollendebüt als Tristan, mit ihm singt Camilla Nylund an der Spitze eines Ensembles, das man in dieser Qualität derzeit wohl an keinem anderen Haus erleben kann. Am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden steht Christian Thielemann und tut, was er am besten kann: Er dirigiert einen mehr als erstklassigen Wagner. (Rezension der Vorstellung v. 21.01.2024)

1995 feierte Marco Arturo Marellis Inszenierung von Richard Wagners Tristan und Isolde Premiere. Seitdem ist sie vermutlich schon genug besprochen worden, deshalb an dieser Stelle nur einige wenige Worte. Das Wichtigste zuerst: Im Großen und Ganzen funktioniert sie immer noch. Zum Glück für die Semperoper hat sich Marelli damals für ein zeitloses Regiekonzept entschieden, das mit abstrakten Bildern Tristan und Isoldes Rückzug von der Außenwelt eindrucksvoll in Szene setzt. Im würfelförmigen Bühnenbild geben sich die beiden hinter durchsichtigen Vorhängen ganz ihrer Liebe hin, die anderen Figuren können nur hilflos zusehen. Auch nach dreißig Jahren ist diese Interpretation noch schlüssig und Marellis Bühnenbilder sind noch ästhetisch ansprechend. Dagmar Niefind-Marellis Kostüme überzeugen auch immer noch. Sie harmonieren wunderbar mit der erzählten Handlung und den Figuren, die sie kleiden. Der Alterungsprozess setzt der Inszenierung an anderer Stelle zu: Von einer ausgefeilten Personenregie ist auf der Bühne nicht mehr allzu viel übrig. Teilweise müssen die Sänger in ihrer Gestik sogar auf die einfache wörtliche Illustration des Textes zurückgreifen und rutschen dabei visuell in die Nähe einer Flugbegleiterin, die gestenreich die Lage der Notausgänge erklärt. Auch an anderen Stellen kommt es zu unfreiwilliger Komik, wenn eine Figur gar zu planlos rumsteht. Das nimmt der eigentlich gelungenen Inszenierung dann doch etwas von ihrer Ernsthaftigkeit. Am Ende stört das alles aber nicht, denn, Marelli in Ehren, die Inszenierung ist wohl das Element, auf das an diesem Abend die wenigsten Zuschauer besonders achten. Viel spannender als die Regie sind nämlich die spektakulären Leistungen der Musiker.

Da ist zum Beispiel das Tristan-Debüt von Klaus Florian Vogt. Hätte der beim Schlussapplaus das Bedürfnis verspürt, laut „Bingo!“ in den Zuschauerraum zu rufen, man hätte es ihm verziehen. Denn mit dieser Vorstellung von Tristan und Isoldeist es vollbracht: Vogt hat nun alle großen Tenorpartien im Hauptwerk Richard Wagners debütiert. Ob sein helles Timbre zur Partie des Tristan passt, ist Geschmackssache. Daran, dass er der Partie gewachsen ist, gibt es keinen Zweifel. Vom ersten „Was ist, Isolde?“ an ist er voll präsent und überzeugt mit natürlicher Phrasierung und klarer Diktion. Letztere hat ihre Tücken, denn durch sie hört man, dass es beim Text noch etwas hapert: An einer Stelle macht Vogt sogar buchstäblich die Nacht zum Tag – nicht ganz unerheblich in einem Stück, bei dem es so sehr um die gegensätzlichen Konzepte von Tag und Nacht geht. Aber das ist Jammern auf ganz hohem Niveau. Schlichtweg wunderschön ist es, wenn Vogt in den Liebesduetten mit Isolde die Musikalität und Weichheit seiner Stimme voll ausspielen kann. Besonders beeindruckend ist der dritte Akt, wo Vogt mit der unglaublichen Wandlungsfähigkeit seiner Stimme imponiert, von Wahnsinn zu Liebesschmachten, von Seligkeit zu Wut. Ganz ohne Ermüdungserscheinungen ist dieser letzte Akt nicht, aber da Tristan an diesem Punkt sowieso im Sterben liegt, fällt das nicht weiter negativ auf. Insgesamt liefert Vogt eine Leistung, die selbst bei einem routinierten Tristansänger beeindruckend wäre. Bei einem Rollendebüt ist sie überwältigend.

An Vogts Seite singt Camilla Nylund eine überragende Isolde. Für sie ist es kein Rollendebüt, aber ihre erste Isolde in Zürich ist noch nicht allzu lang her. Und doch hat sie die Kunst, ihre Kräfte für die drei Akte des Werks einzuteilen, schon nahezu perfektioniert. Der dritte Akt klingt so frisch, als sei es der erste, ohne dass Nylund sich vorher hörbar schont. Von Anfang bis Ende singt sie voll aus, meistens fein melodisch, aber auch kraftvoll, wenn nötig. Bei Isoldes Fluch im ersten Akt etwa übertönt Nylund alles und jeden, und selbst in den höchsten Lagen bei der größten Lautstärke klingt ihre Stimme kein bisschen schrill, sondern immer noch schön. Ihr Sopran ist, wie Vogts Tenor, ein bisschen leichter, als man es von einer Sängerin ihres Fachs erwarten würde und sie profitiert davon: Eine so klare Melodieführung und so gute Textverständlichkeit hört man in Tristan und Isolde selten. Auch darstellerisch weiß Nylund zu überzeugen: Die nervöse, verbissene Isolde im ersten Akt nimmt man ihr genauso ab wie die fast kindliche, träumerische Verliebte im zweiten und die erhabene Liebesgöttin im dritten Akt.

Übrigens zeigen Vogt und Nylund nicht nur individuell hervorragende Leistungen. Im Laufe des Abends wird auch sehr deutlich, warum die beiden oftmals als das „Traumpaar vom Grünen Hügel“ bezeichnet werden. Duette singen die beiden immer ausgewogen und niemals gegeneinander. Niemals versucht sie ihn zu übertönen oder andersherum. Ihre Stimmen harmonieren fantastisch, sie entfalten sich ähnlich genug, dass sie zusammenklingen, und unterschiedlich genug, dass der Klang immer interessant bleibt. Und darstellerisch wirken die beiden in der ersten gemeinsamen Tristan-Vorstellung schon so gut aufeinander eingespielt, als hätten sie in ihrer bisherigen Karriere nichts anderes getan. Beim Schlussapplaus fallen die beiden sich vor lauter Freude über die geglückte Vorstellung und das gelungene Debüt Vogts erst einmal überschwänglich um den Hals – ohne jegliche Übertreibung ist das einer der schönsten Momente des Abends. Es bleibt zu hoffen, dass man dieses Duo noch sehr oft gemeinsam in Tristan und Isolde erleben darf.

Trotz der hervorragenden Protagonisten ist das sängerische Highlight des Abends aber Georg Zeppenfeld als König Marke. Beeindruckend sind zunächst seine gute Hörbarkeit und die exzellente Textverständlichkeit. Nahezu perfekte Phrasierung und Diktion lassen die Übertitel an seinen Gesangsstellen gänzlich überflüssig werden. Und auch inhaltlich überzeugt Zeppenfeld auf ganzer Linie. Sein Marke ist gleichzeitig autoritär und hochemotional, gebieterisch und zutiefst menschlich. Die langen Monologe Markes gestaltet Zeppenfeld auf intelligente Weise höchst abwechslungsreich. An keiner Stelle kommt Langeweile auf – was bei zehnminütigen Reden sonst durchaus passieren kann. Stattdessen will man weiter in die Gefühlswelt und die Verletzung des Königs mitgenommen werden. Bei allem Abwechslungsreichtum bleibt Zeppenfeld aber doch immer exakt beim Notentext, ohne auch nur ein Detail zu verschlucken.

Besonders hervorzuheben sind außerdem Martin Gantner als ein Kurwenal wie er im Buche steht, mit kernigem, dunklen Bariton, und Tanja Ariane Baumgartner, die, eingesprungen für die erkrankte Christa Mayer, eine auf ganzer Linie überzeugende Brangäne gibt. Sie begeistert mit angenehmem Vibrato, einem schönen dunklen Unterton und einer trotz der Kurzfristigkeit ihres Auftritts mit einer souveränen und durchdachten Darstellungsweise. Die Partien des jungen Seemann im ersten und des Hirten im dritten Akt übernimmt Attilio Glaser, der an der Deutschen Oper Berlin schon Lohengrin gesungen hat – eine Luxusbesetzung. Beide Partien klingen bei ihm auch dementsprechend weniger lyrisch als man es erwartet, sondern wesentlich reifer und dunkler. Erfrischend anders eben. Lawson Anderson als Steuermann rundet das Ensemble mit schönem, dunklen Bass ab.

Und um dem Abend die Krone aufzusetzen ist da noch Christian Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Der macht an diesem Abend sehr deutlich, warum er in vielen Kreisen unumstritten als derzeit bester Wagnerdirigent gilt. Sein Dirigat ist zügig, das hört man deutlich, und doch wirkt die Musik niemals gehetzt. Denn schon im Vorspiel wird klar, dass Thielemann genau weiß, wo er verweilen muss und wo er der Musik Raum geben muss, sich zu entfalten, damit sie wirkt. Zum Beispiel ist der berühmte Tristan-Akkord bei ihm stets recht schnell vorbei, aber umso mehr Zeit verwendet Thielemann auf die anschließenden Melodielinien und Wagners kluges Spiel mit der Harmonik. Das Klischee, das Wagners Musik wuchtig und dröhnend sei, räumt er ganz nebenbei aus dem Weg. Behutsam, fast schon zart, greift Thielemann die einzelnen Akkorde auf, gibt den sich darin abspielenden Emotionen Raum, ohne das Publikum akustisch zu überfallen. Nur wenn die Emotionen dramatisch hochkochen, vor allem im zweiten und dritten Akt, lässt er das Orchester mit ganzer Lautstärke spielen. Schnell, aber niemals plötzlich führt er die Musiker ins volle Fortissimo. Er schafft so Übergänge, die klingen wie aufblühende Blumen. Wahnsinnig beeindruckend und wahnsinnig schön. Was am meisten imponiert: Den ganzen Abend über zwingt Thielemann dem Zuschauer die hohe Emotionalität und die Erotik des Tristan niemals auf, und doch kann man sich der Musik nicht entziehen. Der Liebestod ist dann wieder ganz ruhig, leiser als gewöhnlich und wie über den Wirbel der vergangenen Stunden erhaben. Den vorletzten Ton lässt Thielemann fast schmerzhaft lange aushalten, als wolle er das Ende der Aufführung herauszögern. Das Publikum dürfte er dabei auf seiner Seite haben. Denn am schönsten wäre es, wenn dieser Tristan nie enden würde.

  • Rezension von Adele Bernhard / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Semperoper Dresden / Stückeseite
  • Titelfoto: Semperoper/TRISTAN UND ISOLDE/Klaus Florian Vogt (Tristan), Camilla Nylund (Isolde)/Foto: © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

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